Die von E.T.A.
Hoffmann verfasste Novelle Der Sandmann
erzählt die Geschichte des Studenten Nathanaels, der im Laufe seines kurzen
Lebens allmählich dem Wahnsinn verfällt und letztendlich Selbstmord begeht.
Erschienen ist das Werk im Jahr 1816 zur Zeit der Spätromantik, von der E.T.A.
Hoffmann einer der wichtigsten Vertreter ist.
Die Einordnung in die
Epoche der Romantik lässt sich sehr leicht an einigen Aspekten festmachen:
Zum einen kam es im
Laufe der Epoche der Romantik auf, sich mehr und mehr auch mit der psychischen
Verfassung der Protagonisten auseinanderzusetzen. Dadurch, dass
Gefühlsbetontheit und Emotionalität im Fokus standen, wuchs auch das Interesse
an der mentalen Verfassung und der seelischen Entwicklung von Figuren. Dies
wird im Sandmann durch den sich über Jahrzehnte vollziehenden Verfall zum
Wahnsinn seitens Nathanaels sehr deutlich und kann auch daran fest gemacht
werden, dass es letztendlich fast nur sein persönliches Schicksal ist, welches
behandelt wird. Das Leben der anderen Figuren und auch tiefere
Charakterisierungen von ihnen finden sich in der Form nicht; sie bleiben eher
oberflächlich beschrieben.
Nach Johann G. Fichte
ist es auch das Ich, das die Welt erschafft, was bedeuten soll, dass zu Zeit
der Romantik subjektiver Idealismus in den Vordergrund rückt. Davon ausgehend,
dass die eigene Wahrnehmung die Welt konstituiert, zeigt Der Sandmann auch die wunden Punkte dieser Weltanschauung auf: Was
passiert, wenn das Ich eine verdrehte Welt schafft? Wenn die subjektive
Wahrnehmung insoweit von der kollektiv rezipierten Objektivität abweicht, dass
es zu Wahnvorstellungen kommt? E.T.A. Hoffmans Novelle setzt sich also auch in
kritischer Weise mit dieser neuen Weltanschauung auseinander.
Auch finden sich in
der Zeit der Romantik, vor allem in der Spätromantik, zunehmend sogenannte Spukgeschichten,
in denen dunklere Mächte oder Dämonen eine Rolle spielen. Beim Sandmann ist genau dies der Fall: In
gewisser Weise ist der Krankheitsverlauf des wahnsinnig werdenden Nathanaels mit
dem Schauermärchen des bösen Sandmannes verknüpft. Der Sandmann ist in der
Novelle die düstere Metafigur, die sich in unterschiedlichen Personifizierungen
durch das Leben von Nathanael zu ziehen scheint und ihn schlussendlich in den
Selbstmord treibt. Zumindest entstammen seine Wahnvorstellungen anscheinend dem
Kindheitstrauma, das mit dieser gruseligen Sandmanngeschichte in Verbindung
steht. Neben dieser Gruselgeschichte, die dem Protagonisten als Kind erzählt
wird, finden sich zudem auch die sehr intransparenten Versuche des Vaters in
Sachen Alchemie in der Geschichte, die auch etwas Dämonisches, Mystischen an
sich haben, da sie im geheimen geschehen und letztendlich auch zum Tod (oder
vielleicht zur Ermordung?) des Vaters führen.
Der Sandmann lässt
sich auch als Kunstmärchen einordnen. Im Vergleich zum klassischen Märchen
weisen Kunstmärchen nicht die üblichen Erzählformen wie „Es war einmal…“ auf
und beinhalten etwas komplexere Erzählstrukturen. Sie enden zudem nicht
zwangsweise gut, wie es auch im Sandmann nicht der Fall ist, und ihre Protagonisten
lassen sich nicht so leicht in Gut und Böse stigmatisieren. Auch im Sandmann
wird nicht wirklich deutlich, ob es die böse Figur des Sandmanns, der „den
Kindern die Augen ausreißt“ tatsächlich gibt oder er eben nur eine Einbildung
ist, die den Ammenmärchen von Nathanaels Mutter entstammt. Der Freund des Vaters,
Coppola, könnte eventuell auch dessen Mörder sein und Händler Coppelius
Nathanael bewusst in den Wahnsinn treiben.