Interpretationsansätze



Grundsätzlich lässt sicher der Novelle eine Vielzahl an Aspekten entnehmen, die sich interpretieren und deren Deutung diskutiert werden kann. Im Folgenden habe ich die Aspekte ausgewählt, die mich persönlich am meisten interessiert haben.

Die Erzählstruktur
Besonders auffällig ist die Erzählstruktur der Novelle. Sie beginnt zunächst mit einem Brief von Nathanael an seinen Freund Lothar, der zugleich Bruder von Nathanaels Verlobten ist. Da Nathanael den Brief falsch adressiert gerät er jedoch in Claras, also besagter Verlobten, Hände. Diese schreibt daraufhin an Nathanael zurück und auch Lothar antwortet ihm.

Im Anschluss an diesen Briefwechsel übernimmt ein auktorialer Erzähler die Berichterstattung, der zuweilen auch die Leserschaft direkt anspricht. Dann wiederum wechselt die Perspektive auch von auktorialem zu personalem Erzähler. Dies führt vor allem dazu, dass dem Leser nicht ganz deutlich wird, welche Aspekte der Geschichte nur auf der subjektiven Wahrnehmung Nathanaels basieren und wann es sich tatsächlich um objektive Fakten handelt. Bis zum Ende ist beispielsweise nicht klar, ob es sich bei Coppola und Coppelius tatsächlich um die gleiche Person handelt und ob Nathanael Opfer einer inszenierten Intrige oder tatsächlich wahnsinnig geworden ist. Da die Erzählung auch erst im Erwachsenenalter einsetzt, kann der Leser keine ‚objektiven‘ Informationen Seiten des personalen Erzählers über das Kindheitstrauma Nathanaels und die tatsächlichen Ereignisse erhalten. Ist der Vater tatsächlich bei einem Unfall umgekommen oder wurde er von Coppelius getötet? Wie nehmen die anderen Beteiligten den Freund des Vaters wahr? Erscheint er ihnen auch als der gruselige Sandmann?

Da die gesamte Erzählung auf Nathanaels Schicksal aufbaut, werden die Charaktere und Erlebnisse der anderen Figuren zudem eher oberflächlich betrachtet. Die Erzählstruktur versetzt die Leserschaft also tendenziell mehr in die Perspektive von Nathanael und lässt folglich auch die Grenzen zwischen Realität und Einbildung ein wenig verschwimmen.

Verhältnis Mensch-Maschine
Ein wichtiger Aspekt der Novelle, ist die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Mensch zu Maschine und anders herum sowie die Kritik an technischen Entwicklungen. Das Perspektiv, das Nathanael von Coppola erwirbt, lässt Olimpia lebendig erscheinen, obwohl sie dies nicht ist. Es veranlasst also einen Trugschluss. Dies stellt nun in Frage, ob tatsächlich etwas mit dem Perspektiv nicht stimmt oder lediglich Nathanaels Wahnvorstellungen die Wirklichkeit verdrehen.

Zudem ist es sehr interessant, dass sich der Professor eine Puppe, die er als seine Tochter ausgibt. Weder dieser Fakt wird weiter hinterfragt, noch wird deutlich von außen interveniert. Zwar nehmen die anderen Personen aus Nathanaels Umfeld wahr, dass mit Olimpia etwas ‚nicht stimmt‘, aber niemand formuliert klar, dass es sich tatsächlich nur um eine Puppe handelt. Nathanael kommt für eine Zeit ins Irrenhaus und wird offiziell für genesen gehalten. Das dies jedoch nicht der Fall ist, zeigt der Ausgang der Geschichte: Nathanael nimmt sich das Leben.