Die Thematik der
Novelle ist für uns heute vor allem insofern weiterhin relevant, als dass sie auch
eine der ersten Geschichten ist, die den Verlauf einer psychischen Erkrankung
thematisiert. Im Anschluss an die Zeit der Romantik, in der Literaten sich
zunehmend auch mit dem psychischen Zustand ihrer Protagonisten auseinandersetzen,
begannen auch die Forschungen von Sigmund Freud, dessen Schriften ebenfalls bis
heute forschungsrelevant sind.
Im Sandmann wird beschrieben, wie Nathanael
nach und nach so sehr den Sinn für die Wirklichkeit verliert, dass er nicht
mehr zwischen Wahn und Realität differenzieren kann und sogar fast seine
Verlobte vom Rathausturm stößt. Es ist interessant, dass die Novelle in
gewisser Weise auch eine Art Ursachenforschung betreibt: Anscheinend verfolgt
Nathanael auch als erwachsener Mensch noch die Geschichte des Sandmanns, wobei
man sich fragen kann, inwiefern Coppola und Coppelius nun tatsächlich mit dieser
-einer Schauergeschichte entstammenden Figur- in Verbindung stehen. Ist es die
gleiche Person oder projiziert Nathanael nur die Albträume seiner Kindheit auf
Menschen seines Umfeldes, die ihm vielleicht aus ganz anderen Gründen Unbehagen
bereiten?
Die Zeit der Romantik
folgte auf die Epoche der Aufklärung, in der maßgeblich Rationalität im
Vordergrund stand. In der Romantik wand man sich dann mehr der Gefühlsebene zu
und Autoren und Autorinnen dieser Zeit setzten sich auch mit dem Innenleben
ihrer Figuren auseinander. Psychische Verfassung, Entwicklung und Erkrankung
beschäftigt uns bis heute und ist immer noch nicht vollends erforscht. Auch um
die Anerkennung dieser Art von Erkrankung muss weiterhin gekämpft werden, da
nicht alle Arten sich konkret diagnostizieren lassen.
Ebenfalls ein
weiterhin aktuelles und interessantes Thema ist das Verhältnis Mensch-Maschine
und technische Entwicklung. Im Sandmann ist es das Perspektiv, das Nathanael
Olimpia als lebendigen Menschen erscheinen lässt. Die Frage ist, ob es dies hingehend
modifiziert werden (konnte) und vielleicht Nathanael nur Opfer einer Intrige
ist. Zumindest wird nicht ganz deutlich, weshalb kein klares Einschreiten von
außen erfolgt und warum Nathanaels Professor Olimpia als seine Tochter ausgibt.
Auch wenn natürlich
heute die Entwicklung bereits an einem ganz anderen Punkt angekommen ist,
beschäftigen uns im Zusammenhang mit technischem Fortschritt weiterhin Fragen,
die sich vor allem dieser „dunkleren Seite“, die auch in der Romantik
thematisiert wird, zuschreiben lassen. Missbrauch von technischen Erfindungen
und die Grenze zwischen Realität und Erfindung (Beispiel menschliche Roboter)
werden auch Themen der Zukunft sein.